Dienstag, 31. Januar 2012

Rezension: Souad - Bei lebendigem Leib

Autorin: Souad
Titel: Bei lebendigem Leib
Seiten: 286
Genre: Autobiografie
veröffentlicht: 2004 im Blanvalet Verlag
Originalausgabe: Brûlée vive (Paris, 2003)
Eine Leseprobe gibt es hier.

Zitat: 

Ich bin ein Mädchen, und Mädchen müssen immer schnell gehen und auf den Boden schauen, den Blick auf den Boden heften und sich beeilen. Mädchen dürfen nicht aufsehen oder den Blick schweifen lassen, denn wenn ein Mädchen einem Mann in die Augen schaut, behandelt sie das ganze Dorf als charmuta.
Sieht eine verheiratete Nachbarin, eine alte Frau oder sonst jemand das Mädchen allein auf der Straße, ohne ihre Mutter oder ihre ältere Schwester, ohne Schaf, Heubündel oder einen Korb voller Feigen, gilt sie ebenfalls sofort als charmuta. (S. 7)


Kurzbeschreibung:

Souad ist siebzehn Jahre alt, und sie ist schwanger. Für ihr Heimatdorf im Westjordanland ein Skandal - denn Souad hat die Ehre der Familie beschmutzt. Deshalb beschließen ihre Eltern, sie zu töten, und Souads Schwager Hussein soll das Urteil vollstrecken. Im Nebenzimmer sitzend, belauscht Souad ihr eigenes Todesurteil. Als sie einige Tage später im Garten die Wäsche waschen will, tritt Hussein hinter sie, übergießt sie mit Benzin und verbrennt die junge Frau bei lebendigem Leib. In den Augen der Dorfgemeinschaft ist dieser Mann ein Held.
Und seine Tat ein "Ehrenmord": Mehr als 5000 Tötungsdelikte an jungen Frauen durch Familienmitglieder sind jährlich weltweit dokumentiert; die Dunkelziffer ist jedoch weitaus höher. Und all diese Frauen sind Opfer einer archaischen Tradition, die noch heute als ungeschriebenes Gesetz vollzogen wird. Wie durch ein Wunder kommt Souad mit dem Leben davon, und es gelingt einer französischen Menschenrechts-Aktivistin, die schwerstverletzte junge Frau außer Landes zu bringen.
Lange hat Souad geschwiegen. Doch nun hat sie sich entschlossen, Zeugnis abzulegen: für all jene Mädchen und Frauen, deren Leben in Gefahr ist; im Gedenken an die zahllosen Opfer, die nicht so viel Glück hatten wie sie. Und um die Weltöffentlichkeit auf dieses Unglück hinzuweisen.


Über die Autorin:

Souad wurde Ende der fünfziger Jahre in einem Dorf im Westjordanland gebören. Nach dem grausamen Mordanschlag gelang es einer engagierten Mitarbeiterin der Hilfsorganisation surgir in einer abenteuerlichen Aktion, die schwer verletzte Souad und ihr früh geborenes Kind in eine Schweizer Spezialklinik zu bringen. Nach Jahren voller körperlicher und seelischer Qualen lebt Souad heute zusammen mit ihrem Mann und ihren drei Kindern unter falschem Namen irgendwo in Europa. Trotz der Gefahr einer Verfolgung durch ihre Familie hat Souad sich entschlossen, ihre Geschichte der Weltöffentlichkeit mitzuteilen.


Rezension:

Souad hat mit diesem Buch mir und sicherlich vielen anderen Menschen die Augen geöffnet, was das Thema "Ehrenmord" betrifft. Unter diesem Begriff habe ich mir bislang immer nur etwas Schwammiges vorgestellt, keine konkrete Aktion wie hier das Verbrennen bei lebendigem Leib.
Die Autorin ist in einer Welt aufgewachsen, in der Frauen nichts zu sagen haben. Erst, wenn ein Mädchen verheiratet ist, darf es überhaupt alleine auf die Straße gehen oder in den Lebensmittelladen um die Ecke, vorher ist an diese simplen Taten, wie sie für uns sind, gar nicht zu denken. Geschehen sie doch, gilt das Mädchen als Prostituierte und kann es vergessen, einen Mann zu finden. Eine Heirat bedeutet Übersiedlung von einem Gefängnis in ein anderes. Geheiratet wird erst, wenn alle älteren Schwestern verheiratet sind. Wenn die ältere Schwester niemand haben will, hat man als jüngere eben Pech gehabt.
Souad wartete schon seit Jahren auf ihre Hochzeit, bis sie einen Mann trifft, der ihr diese verspricht. Am Ende schwängert er sie und verschwindet.
Souad, die in Europa versucht, ein neues Leben für sich aufzubauen, wird nie eine gesunde Frau sein. Durch ihre körperlichen Missbildungen, die von starken Verbrennungen zeugen, muss sie sich auch im Sommer sehr bedeckt kleiden. Der psychische Druck, der dadurch entsteht, ist für sie manchmal nicht auszuhalten.
Doch sie entschließt sich, sich der Weltöffentlichkeit zu stellen und meiner Meinung nach hat sie uns damit ein großes Geschenk gemacht. Kaum ein Opfer traut sich das zu, denn überlebende Opfer von Ehrenmorden werden bis zum Ende gejagt, noch der entfernteste Verwandte fühlt sich verpflichtet, diese Tat zu Ende zu führen, um die Ehre der Familie wieder herzustellen...
Ich habe bei dem Buch geweint und mich gefragt, was für eine wahnsinnige Welt das nur ist...
Es ist natürlich kein literarisch perfektes Werk, doch das soll es auch nicht sein, sondern es soll authentisch sein und das ist es allemal.
 

Fazit: 

Ein Muss für alle, die nicht die Augen vor den Problemen unserer Welt verschließen.

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